Fallstricke der Alltagspsychologie: Wahrscheinlichkeiten
Beispiel 1: Das Schüler-Problem
Ein Schüler hat im Abschlusszeugnis in Mathematik die Note Vier erzielt. Welche der folgenden Aussagen trifft für ihn mit größerer Wahrscheinlichkeit zu?
a) Er hatte eine Sechs in Mathe im Halbjahreszeugnis.
b) Er hatte eine Sechs in Mathe im Halbjahreszeugnis, hat aber im zweiten Halbjahr Nachhilfe in Mathe erhalten.
Bei dieser Aufgabe entscheiden sich die meisten Befragten regelmäßig (und fälschlicherweise) für die Alternative b.
Wahrscheinlichkeiten einzelner Ereignisse und Konjunktionen
Um die Frage zu klären, müssen wir ein grundlegendes Prinzip der Wahrscheinlichkeit verstehen:
Wenn wir zwei Ereignisse haben:
- Ereignis 1: Der Schüler hatte im Halbjahreszeugnis eine Sechs.
- Ereignis 2: Der Schüler hat im zweiten Halbjahr Nachhilfe erhalten.
Dann gilt: Die Wahrscheinlichkeit, dass nur ein Ereignis eintritt, ist höher oder gleich der Wahrscheinlichkeit, dass beide Ereignisse zusammen eintreten.
Fazit:
Da die Wahrscheinlichkeit für ein einzelnes Ereignis (die Sechs) größer ist als die Wahrscheinlichkeit für zwei gleichzeitig eintretende Ereignisse (Sechs UND Nachhilfe), ist Aussage a) mit größerer Wahrscheinlichkeit richtig als Aussage b).
Beispiel 2: Das Hausfrau-Paradox
Welches der folgenden Ereignisse ist wahrscheinlicher?
a) Eine Hausfrau hat promoviert.
b) Eine promovierte Frau ist Hausfrau.
c) Beides ist gleich wahrscheinlich.
Die häufigste Antwort ist c), obwohl tatsächlich Aussage b) die wahrscheinlichste ist.
Erklärung:
Wir haben zwei Gruppen von Frauen:
- Hausfrauen (eine sehr große Gruppe)
- Promovierte Frauen (eine deutlich kleinere Gruppe)
Bei Option a) betrachten wir die große Gruppe der Hausfrauen und fragen, wie viele davon promoviert haben. Da es viel mehr Hausfrauen als promovierte Frauen gibt, ist dieser Anteil sehr klein.
Bei Option b) betrachten wir die kleinere Gruppe der promovierten Frauen und fragen, wie viele davon Hausfrauen sind. Dieser Anteil ist höher, da einige promovierte Frauen durchaus Hausfrauen sein können.
Deshalb ist b) wahrscheinlicher, weil:
- Es viel mehr Hausfrauen gibt als promovierte Frauen
- Nicht viele Hausfrauen promoviert haben
- Unter den promovierten Frauen aber durchaus einige Hausfrauen sein könnten
Quelle: Sedlmaier Peter; Renkewitz, Frank: „Forschungsmethoden und Statistik"; Pearson 2013
Jan Vanvinkenroye, jan.vanvinkenroye@daa-projekte.de