🧠 Fallstricke der Alltagspsychologie

Interaktives Lernelement - Forschungsmethoden und Statistik

Basierend auf: Sedlmeier & Renkewitz (2013)

Willkommen zum interaktiven Lernelement!

In diesem Modul erkunden wir gemeinsam die hĂ€ufigsten Denkfehler und TĂ€uschungen, denen wir im Alltag unterliegen. Die Alltagspsychologie fĂŒhrt uns oft in die Irre - lernen Sie, diese Fallstricke zu erkennen und zu vermeiden!

Was Sie erwartet:

  • Fehler beim Wahrnehmen - Wie uns unsere Sinne tĂ€uschen
  • Fehler beim Erinnern - Warum unser GedĂ€chtnis nicht wie ein Computer funktioniert
  • Fehler beim logischen Denken - Die Wason-Aufgabe und andere Denkfallen
  • Fehler beim Umgang mit Wahrscheinlichkeiten - Intuition vs. Mathematik
Was glauben Sie: Wie verlÀsslich ist unsere Alltagspsychologie?
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1.1.1 Fehler beim Wahrnehmen

Nehmen wir die Welt so wahr, wie sie ist? Das scheint zumindest manchmal nicht der Fall zu sein. Wie sehen Sie die folgenden Linien?

Die MĂŒller-Lyer-TĂ€uschung

Welche Linie erscheint Ihnen lÀnger?
Die obere Linie
Beide sind gleich lang
Die untere Linie

Die Perspektiven-Information

Eine gĂ€ngige ErklĂ€rung ist, dass wir bei Abbildungen dieser Art automatisch die Perspektiven-Information berĂŒcksichtigen, die in den Pfeilen an den Enden der waagerechten Striche gegeben wird. Die Perspektiven-Information deutet an, dass es sich beim oberen Strich um den hinteren Rand und beim unteren Strich um den vorderen Rand eines Objekts handeln könnte – der obere Strich mĂŒsste also weiter von uns entfernt sein als der untere.

Unser Wahrnehmungssystem scheint diese angedeutete Entfernungs-Information automatisch mit zu verrechnen.

Das Kanizsa-Dreieck

Sehen Sie das weiße Dreieck?

Das Kanizsa-Dreieck: Die meisten Menschen sehen hier zwei Dreiecke: ein weißes Dreieck ohne Rand, das ĂŒber einem weißen Dreieck mit einem schwarzen Rand liegt. Keines der beiden Dreiecke ist aber tatsĂ€chlich vorhanden. Alles was die Zeichnung enthĂ€lt, sind drei Winkel und drei schwarze „Törtchen". Wir ergĂ€nzen Informationen! Auch das ist im Alltag sehr hilfreich, weil Objekte oft durch andere verdeckt sind und wir sie durch diese ErgĂ€nzen unseres Wahrnehmungssystems doch erkennen können.

1.1.2 Fehler beim Erinnern

Eine im Alltag verbreitete Vorstellung ist, dass unser GedÀchtnis so Àhnlich funktioniert wie ein Tonband, ein Fotoapparat oder eine Filmkamera: Wenn wir uns erinnern, dann rufen wir aus einer Art Speicher das ab, was wir gesehen, gehört oder gedacht haben.

Die Wahrheit ĂŒber unser GedĂ€chtnis

Das ist, wie man mittlerweile weiß, jedoch eher selten der Fall. Meist rufen wir unsere Vergangenheit nicht ab, sondern rekonstruieren sie. Dabei kann unsere Erinnerung in vielfĂ€ltiger Weise beeinflusst werden:

  • Einfluss von Information, die wir vor dem Erinnern erhalten
  • Einfluss unserer „impliziten Theorien"
  • Vorstellungen und Erwartungen, die wir zu bestimmten Gegenstandsbereichen haben

Der RĂŒckschaufehler-Test

Stellen Sie sich vor: Ein Teilnehmer in einer Studie sollte ein Urteil abgeben (z.B. „2,3" auf einer Skala). SpĂ€ter wurde er gebeten, sich an sein ursprĂŒngliches Urteil zu erinnern. Zwischenzeitlich erfuhr er, dass das tatsĂ€chliche Ergebnis „2,0" war.

Was glauben Sie: An welchen Wert wird sich der Teilnehmer tendenziell erinnern?
Genau an 2,3 (sein ursprĂŒngliches Urteil)
An einen Wert zwischen 2,0 und 2,3
An 2,0 (das wahre Ergebnis)
An einen höheren Wert als 2,3

Falsche Erinnerungen mit Konsequenzen

Die Informationen, die wir bei der Rekonstruktion von GedĂ€chtnisinhalten benutzen, mĂŒssen nicht immer so klar sein wie etwa die Information, dass das tatsĂ€chliche Ergebnis in der Klausur eine 2,0 war. Manchmal sind Zusatzinformationen auch in der Art und Weise versteckt, wie jemand eine Befragung durchfĂŒhrt.

Beispiel: Vor allem wenn sich die Befragten nicht sicher sind, können subtile Informationen in der Frage den Abruf (und auch die Neukonstruktion) von GedÀchtnisinhalten beeinflussen.

1.1.3 Fehler beim logischen Denken

Ist logisches Denken schwierig? Einige Befunde aus der psychologischen Urteilsforschung legen diese Schlussfolgerung nahe. Hier ist ein Beispiel – eine Variante einer bekannten Aufgabe (bekannt unter der Bezeichnung „Wason-Aufgabe") zum logischen Denken.

Die Wason-Aufgabe

Sie haben vier Karten vor sich. Alle Karten sind auf der einen Seite mit einem Buchstaben und auf der anderen Seite mit einer Zahl beschriftet.

E
?
1
?
F
?
2
?
Regel: "Wenn auf der einen Seite der Karte ein Konsonant ist, ist auf der anderen Seite eine ungerade Zahl."

Welche Karte(n) mĂŒssen Sie umdrehen, um zu ĂŒberprĂŒfen, ob diese Regel verletzt wurde?

Die Lösung

Die Lösungsraten bei Aufgaben dieser Art sind nicht sehr hoch – nur etwa 20% der Befragten kommen auf die richtige Lösung.

Richtig ist: Man muss die Karte mit dem „F" und die mit der „2" umdrehen.

Warum? Wenn auf der anderen Seite der „F"-Karte eine gerade Zahl ist, dann ist die Regel verletzt, genauso wenn auf der anderen Seite der „2"-Karte ein Konsonant steht. Auf der anderen Seite der „1"-Karte kann stehen, was will: Bei einem Konsonanten passt die Regel und bei einem Vokal ist sie nicht anwendbar; deswegen macht es auch nichts, ob auf der RĂŒckseite der „E"-Karte eine gerade oder ungerade Zahl steht.

Die Alltagspsychologie-Falle: Logik wird oft als Bindeglied zwischen verschiedenen zusammengehörenden Aussagen benutzt, die dann insgesamt eine Theorie ergeben. Wenn die Anwendung logischer Schlussfolgerungen fehlerhaft ist – und das scheint im Alltag manchmal der Fall zu sein –, dann hat das natĂŒrlich auch Auswirkungen auf eine entsprechende alltagspsychologische Theorie.

1.1.4 Fehler beim Umgang mit Wahrscheinlichkeiten

Wir haben gesehen, dass wir nicht immer sicher sein können, dass sich das, woran wir uns erinnern, auch genauso ereignet hat. Noch schlimmer steht es mit Vorhersagen: Bei genauerer Betrachtung mĂŒssen wir feststellen, dass wir kaum etwas mit absoluter Sicherheit vorhersagen können.

Wie gut sind wir im Umgang mit Wahrscheinlichkeiten?

Oft hilft es aber, zumindest ĂŒber die Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmtes Ereignis eintritt, gut Bescheid zu wissen. Wie gut sind wir im Umgang mit solchen Wahrscheinlichkeiten? Unter bestimmten Bedingungen scheinen wir auch dabei recht fehleranfĂ€llig zu sein.

Aufgabe 1: Der SchĂŒler mit der Vier

Ein SchĂŒler hat im Abschlusszeugnis in Mathematik die Note Vier erzielt.

Welche der folgenden Aussagen trifft fĂŒr ihn mit grĂ¶ĂŸerer Wahrscheinlichkeit zu?
a) Er hatte eine Sechs in Mathe im Halbjahreszeugnis.
b) Er hatte eine Sechs in Mathe im Halbjahreszeugnis, hat aber im zweiten Halbjahr Nachhilfe in Mathe erhalten.

Aufgabe 2: Die promovierte Frau

Welches der folgenden Ereignisse ist wahrscheinlicher?
a) Eine Hausfrau hat promoviert.
b) Eine promovierte Frau ist Hausfrau.
c) Beides ist gleich wahrscheinlich.

Die Konjunktionsfalle

Die hÀufigste Antwort ist, dass beide Ereignisse gleich wahrscheinlich sind (Antwort c), obwohl tatsÀchlich die zweite Aussage (eine promovierte Frau ist Hausfrau) die wahrscheinlichste ist.

Warum? Die Lösungen finden Sie in Kapitel 10, in dem wir uns ausgiebig mit Wahrscheinlichkeiten befassen. Festzuhalten bleibt, dass es im Alltag nicht immer einfach ist, Wahrscheinlichkeiten richtig einzuschÀtzen: ein weiteres Argument dagegen, auf alltagspsychologische Theorien zu sehr zu vertrauen.

Abschlussquiz: Testen Sie Ihr Wissen!

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Frage 1: Wahrnehmung

Bei der MĂŒller-Lyer-TĂ€uschung nehmen wir unterschiedliche LinienlĂ€ngen wahr, weil...
unser Gehirn automatisch Perspektiven-Information verarbeitet
die Linien tatsÀchlich unterschiedlich lang sind
wir schlecht im SchÀtzen von LÀngen sind

Frage 2: Erinnerung

Unser GedÀchtnis funktioniert hauptsÀchlich durch...
perfektes Abspeichern wie bei einem Computer
Rekonstruktion mit möglichen Verzerrungen
fotografisches GedÀchtnis

Frage 3: Logik

Bei der Wason-Aufgabe machen die meisten Menschen Fehler, weil...
sie zu faul zum Denken sind
logische Schlussfolgerungen im Alltag oft fehlerhaft angewendet werden
die Aufgabe zu kompliziert formuliert ist

Frage 4: Wahrscheinlichkeiten

Die Konjunktionsfalle zeigt, dass wir...
gut in Wahrscheinlichkeitsrechnung sind
immer die einfachste Lösung wÀhlen
Wahrscheinlichkeiten oft intuitiv falsch einschÀtzen